Vom Glück der Peripherie

Ingrid Rosenberg-Harbaum über den einzigen Roman von Edward Thomas: „Die Unbekümmerten“.

Mit einer 2. Auflage würdigt der Steidl-Verlag Göttingen den einzigen Roman des englischwalisischen Schriftstellers Philip Edward Thomas (1878 – 1917) als Beispiel europäischer Boheme-Literatur an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Der Autor verstand die 20 inhaltlich locker miteinander verbundenen Kapitel als autobiografische Fiktion, die als „The-Happy-Go-Lucky-Morgans“ erstmals 1913 erschien.

Der Abgesang auf das Abercorran House im frühindustriellen Balham einem Vorort von London südlich der Themse begeistert in der deutschen Übersetzung von Friedhelm Rathjen mit dem Zungenschlag angelsächsischer Melancholie. Der Ich-Erzähler Arthur Froxfield lässt im abgedunkelten, staubigen Inneren des nunmehr zum Verkauf leerstehenden Hauses und im wie eh und je sonnenfingerdurchfluteten Hinterhof Episoden aus seiner Kindheit, die ihn in den 1880/90er Jahren prägten, in dichter Folge Revue passieren. Während seine Eltern hier gerne den lebhaften Umgang mit britisch skurrilen Individualisten, die ihr Leben nicht als geordnete Karriere organisierten, pflegten, spielte für die vier Brüder und eine sangesfreudige kleine Schwester die Haushälterin und Köchin Ann Lewis die entscheidende Rolle, wenn in glücklicher Unordnung und freier Liederlichkeit die walisische Familie ihren Alltag an der Peripherie der Metropole zelebrierte. Auf sie war Verlass, vielleicht ein Trost in den Jahren anstehender tiefgreifender Veränderungen und Unentschlossenheit. Als schillerndes Patchwork voller literarischer Anspielungen wirkt das Buch gleichermaßen schwermütig wie leichtfüßig.

Die Gestaltung der 2. Auflage im 100. Todesjahr des Autors besorgte das Studio Victor Balko. Vorsatzblätter, Kapitalbändchen, der Druck auf dem Titelblatt, die Kapitelüberschriften und die Seitenzahlen leuchten in so vitalem Orange wie der Ganzleineneinband. Im Impressum wird die in schwarz geprägte Illustration auf der vorderen Buchdecke dem englischen Art Nouveau Künstler William Heath Robinson (1872 – 1944) zugeschrieben. Die Strichzeichnung zeigt einen seilspringenden Jungen mit artistisch spitz zulaufenden Schuhen in einem von einer fransigen Kordel leger zusammengehaltenen, dünnen Hausmantel. Alles Materielle wirkt leicht wie Luft. Das Seil schwingt, Haare und Mantel, Fransen und Kordel fliegen. Mit geschlossenen Augen und den Kopf himmelwärts gerichtet scheint der Junge den Boden unter seinen Füßen nicht mehr zu spüren; und auch die auf dem Einband weißgeprägten Lettern des Titels hüpfen, stehen mal Kopf und verleihen der glücklich beseelt praktizierten Lebenskunst am Rande der spätviktorianischen Gesellschaft, von der das Buch amüsant zu erzählen weiß, trefflich Ausdruck.

Edward Thomas: Die Unbekümmerten. Aus dem Englischen mit einem Nachwort von Friedhelm Rathjen. 2.Auflage 2017. Steidl Verlag, 282 Seiten, 24 Euro.

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