Soll das ein Roman sein?

Thomas Wiegand bespricht „Wense“, das Roman-Debüt von Christian Schultheisz

Ein Roman über Hans Jürgen von der Wense? Ich war neugierig geworden, hatte ich doch schon etwas über den genialen und universell gebildeten Dilettanten gelesen, der in Kassel und später in Göttingen lebte und die Nähe großer Bibliotheken brauchte wie der Fisch das Wasser. Der allem aufgeschlossene Komponist, Übersetzer, Wissenschaftler, Wanderer, Schriftsteller, Fotograf, Musiker (usw.) hat zeitlebens viel angefangen, aber nur wenig veröffentlicht.

Hatte sich Christian Schultheisz so weit in den in Kassel liegenden Nachlass Wenses vertieft und neue, unbekannte Aspekte gefunden, die als Ausgangspunkt eines „Romans“ dienen konnten? Oder hat er eine schöne Geschichte erfunden, mit der er die ohnehin schillernde Figur aufpolieren und so auch dem nicht vom Wense-Virus infizierten Leser nahebringen kann? Leider beides nicht. Schultheisz bemüht sich, möglichst viele Facetten von Wenses Person und Schaffen mal beiläufig, mal weitschweifend, auf den wenigen Seiten seines Buches unterzubringen. Die Rahmenhandlung bildet Wenses Zeit als Mitarbeiter eines Herstellers von technischem Gerät während des Zweiten Weltkriegs in Göttingen. Eigentlich passiert nicht viel, es geht um Wenses Verhältnis zu seiner Mutter, zu seinen Vermietern, zu den Bibliothekarinnen und zu Zwangsarbeitern und Vorgesetzten in dem Betrieb, in dem er arbeiten muss. Schultheisz richtet den Scheinwerfer auf eine kurze Strecke in Wenses Biographie, aber weder in der Handlung noch sprachlich passiert etwas Aufregendes. Ja, ich empfand das Lesen dieses zähen Buches als Fron, ich wartete vergeblich darauf, dass die Geschichte endlich in Gang käme. Hätte Schultheisz statt seines Romans doch „nur“ eine Biographie geschrieben und in diese möglichst viel Originalton Wense in Form von Zitaten einfließen lassen! Denn Wenses Leben war eine einzige spannende Geschichte, die man nur adäquat erzählen müsste…

Christian Schultheisz: Wense. Berenberg Verlag 2020, 125 S., 22 Euro.

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