Spracheierei

Steffen Greiners „Diktatur der Wahrheit“ ärgert Andreas Gebhardt.

Man sollte ja Bücher nur rezensieren, wenn man sie gelesen hat. Hier rezensiere ich ein Buch, das ich nach einigen Dutzend Seiten entnervt weggelegt habe wegen Sätzen wie diese hier: „Die erste urkundliche Erwähnung von Jüd:innen in Berlin ist bezeichnenderweise das Verbot der Tuchmacherzunft…“ Oder: „Bäuer:innen waren verpflichtet, dort zu leben und jenes Land der Grundbesitzenden zu bewirten, auf dem sie geboren wurden.“ Oder: „Die Anarchist:innen, die sich tatsächlich parallel im Tessin sammeln und die sich tatsächlich auch so bezeichnen, sehen das ähnlich.“ Um es mal klarzustellen: Männliche Bauern sind Bauern und keine Bäuer:innen, männliche Anarchisten sind Anarchisten und keine Anarchist:innen und männliche Juden sind Juden und keine Jüd:innen.

Was Steffen Greiner hier behandelt ist grundsätzlich interessant und aufschlussreich: Er beschreibt, in welcher Tradition Querdenker, selbstverliebte Schwurbler und Verschwörungsideologen stehen und zieht eine direkte Traditionsline durchs 20. Jahrhundert: Von Esoterikern, Vegetariern, Anthroposophen, Dadaisten zu Gurus, Künstlern, Anarchos, Nazis usw. Soweit so erhellend. Wenn ich beim Lesen nur nicht ständig Gedankenschluckauf bekäme von all den Doppelpunkten. Die Form verkleistert leider den Inhalt. Denken ist sprechen, wie schon der Sprachphilosoph Fritz Mauthner wusste. Denkt und spricht Greiner wirklich so?: „Also liebe:r Querdenker:in, liebe:r Hygienedemonstrant:in, nein ich werde dich nicht Nazi nennen, rechtsextrem aber schon.“ Oh je, hoffentlich nicht. Natürlich geht es ihm und dem Verlag mit solch‘ Sprach- und Denkgeeiere nur darum, es allen recht zu machen. Angst vor einem Shitstorm von welcher Seite auch immer? Das wäre armselig und feige.

Liebe Verleger und Verlegerinnen: Druckt doch künftig zwei Fassungen, eine sprachlich Korrekte und eine mit Sternchen, Doppelpunkten, Quer- oder Unterstrichen. Klebt dann das Schild „Hier wird gegendert!“ auf den Umschlag. Ob diese Auflage wie Blei in den Regalen liegen bliebe? Wäre interessant, das herauszufinden. Bemerkenswert ist, dass es im Untertitel nicht „Eine Zeitreise zu den ersten Querdenker:innen“ heißt. Sollte hier bereits die Marketingabteilung interveniert haben? Eine psycholinguistische Studie an der Uni Kassel hat übrigens unlängst nachgewiesen, dass Gendersternchen keineswegs zu einer gleichstarken kognitiven Repräsentation beider Geschlechter beitragen, sondern beim Lesen verstärkt an Frauen denken lässt. Es wird also das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Steffen Greiner: Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern. Tropen 2022, 264 Seiten, 20 Euro.

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