Caroline Fourests Streitschrift „Die Beleidigten“, empfohlen von Andreas Gebhardt.
Von der „Generation Golf“ zur „Generation Praktikum“ zur „Generation Beleidigt“: Beleidigt ist, wer einen Film zu sehen bekommt, in dem eine Heterosexuelle einen Transsexuellen spielt. Beleidigt ist, wer erfahren muss, dass eine Mutter ihrer Tochter einen Geburtstag im „japanischen Stil“ ausgerichtet, ihr also einen Kimono gekauft und sie wie eine Geisha geschminkt hat. Beleidigt ist, wer auf der Mensaspeisekarte ein chinesisches Gericht entdeckt. Wenn sich ein weißer Künstler mit einem Kunstwerk gegen Unterdrückung in Afrika wendet, ist das ebenso beleidigend, wie wenn ein weißer Professor darüber eine Vorlesung hält.
Die Beleidigten fordern, dass nur Transsexuelle Transsexuelle darstellen, nur Japaner Kimonos tragen, Chinesen chinesisch kochen und nur POC (People of Colour) sich mit Problemen in Afrika befassen dürfen. Dieser kruden Logik zufolge wäre nur Alkoholikern gestattet, Säufer zu verkörpern, Amerikanern Jeans zu tragen, oder Italienern Pizza zu backen. Dürften sich nur Muslime für die in China verfolgten Uiguren einsetzen?
Es sind nur einige Beispiele, die Caroline Fourest in ihrer Streitschrift „Generation Beleidigt“ aufzählt. Untertitel: „Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer“. Der fast schon barock anmutende Titel fasst den Inhalt präzise zusammen. Ihr wütendes Buch war überfällig und wird täglich aktueller. Fourest zeigt, wie der moralinsaure Tugendterror der Political Correctness das Denken verseucht, die Sprache verunstaltet und die Freiheit abwürgt. Sie bezieht ihre haarsträubenden Beispiele vor allem aus den USA und Kanada und ihrem Heimatland Frankreich. Aber solch totalitäre Absurditäten häufen sich auch bei uns.
Fourest beklagt, wie die beleidigten Millennials, die sonst gerne Multikulti und Vielfalt propagieren, anstelle des Universalismus der Aufklärung auf Zensur, Partikularismus, Spaltung und (nicht zuletzt und besonders schlimm: ethnische) Ausgrenzung, setzen. Dabei geben sich die Beleidigten total sensibel, verletzlich und ein Stück weit traurig, wenn jemand wagt, sie zu kritisieren, ihnen also aggressiv begegnet. Oh je: dann entfachen sie entweder einen Shitstorm oder ziehen sich in den Safe Space ihrer Universität zurück, wo sie unter sich bleiben, um sich von der schlimmen Welt und dem ganzen Ungemach da draußen zu erholen und ihr Elend zu bejammern.
Rechte Identitäre, aber auch radikale Islamisten, lachen sich unterdessen eins und trumpfen als die wahren Verteidiger der Freiheit auf, die sie lieber heute als morgen abschafften. Da Denken bekanntlich Sprechen ist, schlägt sich dieser Irrsinn in Sprache und Sprechen nieder, will sagen im Gendersprech mit Doppelpunkten, Unterstrichen, Sternchen und Pausen zwischen den Silben („Bürger(Pause)Innen“). Wer nicht gendert wird aus der Gemeinschaft der Guten verbannt, denn er denkt ja „falsch“ – Orwell lässt grüßen. Die so genannten Sozialen Netzwerke, wo vor dem Denken bekanntlich gewütet wird, fungieren als Brandbeschleuniger.
Der intolerante Reflex vieler radikaler Linker, jene, die ihre Ansichten nicht teilen, sofort der Gegenseite zuzuordnen, funktioniert bei Fourest nicht: Als linke Feministin und ehemalige Redakteurin des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, deren Redaktion 2015 fast komplett von einem islamistischen Terrorkommando ausgelöscht wurde, ist sie über jeden Verdacht erhaben. Wie werden wir in zehn Jahren auf die „Generation Beleidigt“ zurückblicken? Hoffentlich mit einem Lachen, weil der Spuk hoffentlich vorbei ist.
Caroline Fourest: Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Eine Kritik. Edition Tiamat, 145 Seiten, 18 Euro.