Daniele Dell’Agli über Bert Rebhandls Godard-Biografie.
„Es gibt ein Kino vor Godard und ein Kino nach Godard“, hat Peter Handke einmal gesagt. Und tatsächlich hat kein Regisseur die Sprache der Filmkunst derart revolutioniert wie Jean-Luc Godard, der am 3. Dezember 90 Jahre alt wurde. Insofern ist es nur konsequent, wenn der Filmkritiker Bert Rebhandl seine Monografie „Der permanente Revolutionär“ nennt. Das „Permanente“ des rastlos mit Formen, Techniken und Erzählweisen, aber auch mit politischen und ästhetischen Konzepten experimentierenden Franzosen dient der Monografie auch als Leitfaden durch ein unvergleichlich facettenreiches, fragmentarisches, zwischen ästhetischen und politischen Ansprüchen zum Zerreißen gespanntes Werk, dem Rebhandl zu Recht attestiert, 60 Jahre lang als „Weltgeist mit den Mitteln des Kinos“ agiert zu haben.
Die Parallelführung der bei Godard untrennbaren Einheit von Leben und Werk unterteilt der Autor in sechs chronologischen Etappen, die von den Anfängen als Filmkritiker in den 50ern und die glamourösen Höhepunkte als Enfant terrible der Nouvelle Vague über den Agitprop-Aktivisten der Gruppe Dziga Vertov zu dem Videokünstler der 70er Jahre, der anschließend zum Spielfilm zurückkehrt, um dessen Dramaturgie abermals zu dekonstruieren, bevor er ab Mitte der 90er Jahre in immer rätselhafter verdichteten Essayfilmen Reflexionen über das Medium selbst und die Möglichkeiten, seine Komplizenschaft mit dem Lauf der Welt zu sabotieren, entwickelt. Dabei gelingt es Rebhandl, diesen Parcours sehr konkret zum einen anhand der wichtigsten Filme zu schildern – von den unvergessenen Meisterwerken der 60er Jahre wie „Außer Atem“, „Die Verachtung“ oder „Pierrot le fou“ bis zu den sperrigen Experimenten mit der Bildsemantik der letzten Jahre („Adieu au langage“, „Le Livre d’image“) –, deren ästhetische Problematik er durch lehrreiche Kurzdarstellungen in das Gesamtwerk einzuordnen weiß. Zum anderen versteht es der Autor, das persönliche und historische Umfeld des Regisseurs und die Entstehungsbedingungen seiner Arbeiten mit beachtlichem Hintergrundwissen lebendig werden zu lassen, was die Lektüre ungeachtet des hohen intellektuellen Anspruchs durchaus unterhaltsam macht. Obwohl Rebhandl keinen Hehl aus seiner Sympathie für Godard macht, verschweigt er nicht die dunklen Seiten seiner legendären Provokationen und die Zumutungen seines eigensinnigen Charakters. So wird sein Buch allen Ansprüchen einer Monografie gerecht, einer souveränen Gesamtdarstellung von Leben und Werk des vielleicht größten, mit Sicherheit aber schwierigsten Regisseurs der Filmgeschichte, auf die das deutschsprachige Publikum hat lange warten müssen.
Bert Rebhandl: Jean-Luc Godard. Der permanente Revolutionär. Zsolnay 2020, 286 S., 25.- Euro