Onkel Toms Hütte – ein rassistischer Roman?

Ein folgenreiches, kontroverses Buch, vorgestellt von Jürgen Röhling

Kaum ein Roman hat jemals eine solche politische Wirkung gehabt wie Harriet Beecher Stowes „Onkel Toms Hütte“ von 1851, gleichzeitig ein enormer literarischer Erfolg: hohe Auflagen, unzählige Übersetzungen, Bearbeitungen und Nachahmungen und eine zu Tränen gerührte Leserschaft bis in höchste politische Kreise.

Die Geschichte vom herzensguten, aber immer wieder verkauften und schließlich zu Tode gepeinigten Sklaven Tom und vielen Nebenfiguren ging – und geht – ans Herz. Und sie hatte politische Konsequenzen, denn der Roman ebnete der gesetzlichen Abschaffung der Sklaverei den Weg. Heute wird, vor allem in den USA, das Buch selbst als tendenziell rassistisch gelesen, „Onkel Tom“ ist zum Schimpfwort geworden. Ist er nicht viel zu passiv, seine christliche Duldsamkeit nicht grundfalsch? Sind die Figuren nicht arg stereotyp und leisten damit rassischen Vorurteilen Vorschub? Ja, die Schwarzen in diesem Buch lieben Musik, können gut kochen (die Frauen) und hart anpacken (die Männer), und zu einfach wäre es, diese holzschnittartigen Charakterisierungen einfach als zeitgemäß abzutun, spiegeln sie doch auch die soziale Realität der Zeit wider. „Onkel Toms Hütte“ ist ein Kolportageroman, der literarische Anspruch der Autorin überschaubar. Ihr Personal ist in der Regel entweder gut oder böse, letzteres trifft vor allem auf die Sklavenhalter und -jäger zu. Einige Figuren sind irgendwo dazwischen, in der Regel weiße Männer, die zwar gegen die Sklaverei sind, aber zu schwach, etwas dagegen zu unternehmen. Und dass die Sklaverei abgeschafft werden muss, diese Überzeugung vertritt die Autorin äußerst engagiert. Der titelgebende Tom gerät dabei über lange Strecken in Vergessenheit, andere Figuren treten hervor, so das weiße Mädchen Eva, das mit allen Mitteln seine Umgebung von der Schädlichkeit der Sklaverei überzeugt – und vor Vollendung seiner Mission stirbt. Dieses wird auf so anrührende und tränendrückende Weise geschildert, dass der Vergleich mit Charles Dickens, der ja auch gerne junge Mädchen jämmerlich und seitenlang dahinsiechen ließ, naheliegt und die Autorin berechtigterweise in Kitschverdacht bringt.

Trotz aller Schwächen – „Onkel Toms Hütte“ ist ein historischer Roman, der so gelesen werden will, kein heutiger Beitrag zur Rassismus-Debatte. Nur sollte man dabei zur ungekürzten Ausgabe greifen, die als Taschenbuch greifbar ist, nicht zu einer der vielen Bearbeitungen oder gar Kürzungen. Bei allen Längen und Schwächen zeigt das Original eindrucksvoll, wie engagiert Literatur sein kann und was sie bewirken kann.

Harriet Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte. Auf der Grundlage einer anonymen Übersetzung von 1853 neu bearbeitet und mit einem Nachwort von Susanne Althoetmar-Smarczyk. 540 Seiten. dtv 2011/5. Auflage 2020. 11,90 Euro.

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