Heitere Melancholie

Italo Svevos Roman „Zenos Gewissen“, vorgestellt von Andreas Gebhardt

Manche Bücher brauchen einfach ihre Zeit und den Moment, wo man bereit ist für sie. „Zenos Gewissen“ stand über 15 Jahre in meinem Regal, etliche Male hatte ich es in der Hand, las einige Seiten, stellte es wieder dorthin zurück ohne Feuer zu fangen. Aber nie konnte ich mich entschließen, es auszusondern. Zum Glück! Ich ahnte, dass Italo Svevos Roman darauf wartete, entdeckt zu werden. Vor einigen Wochen war es dann soweit und ich habe es nicht bereut.

Svevo, 1861 in der heutigen italienischen Hafenstadt Triest geboren, 1928 bei einem Autounfall ums Leben gekommen, hat neben Erzählungen drei große Romane geschrieben, die sich alle um das Älterwerden drehen. „Zenos Gewissen“ ist sein letzter Roman, 1923 erschienen und zu Lebzeiten ohne nennenswerte Resonanz geblieben. Zeno Cosini, der alternde Ich-Erzähler, schildert sein Leben, nicht in langweiliger Chronologie, sondern als Beichte, die es in sich hat. Vielleicht ebenso radikal wie Rousseaus „Bekenntnisse“ (die kein Roman sind), aber sehr viel witziger, dabei süffisant ironisch und voller Wahrscheinlichkeit. Denn auch Svevos Leben findet hier seinen Niederschlag.

Im Vorwort erklärt der Psychologe, Dr. S., dass er diesen Text aus Rache veröffentlicht. Im letzten Kapitel gesteht Cosini, dass er seinen Psychologen verachtet, die Psychoanalyse für eine „alberne Illusion“, will sagen, für eine einzige Lüge hält. Denn wer garantiert die Wahrheit? Es ist also eine gegenseitige Hassliebe, die beide aneinander kettet. Den im leichten Plauderton vorgetragenen Text umweht eine heitere Melancholie, die einen sofort für den Protagonisten einnimmt. Und Zeno spielt ein raffiniertes literarisches Spiel mit dem Leser (bzw. dem Psychologen), auf das man sich gerne einlässt.

Es geht um letzte Gelegenheiten, verpasste Chancen und Situationen, die dem Leben eine andere Wendung hätten geben können, es geht um Täuschungen und Enttäuschungen, um große Gefühle, große Geschäfte und kleine Spekulationen, um Irrtümer und Schmerzen, Ängste und natürlich um die Liebe, die Ehe, den Ehebruch, das Begehren, um Lust und Verlust und nicht zuletzt geht es um den immer wieder scheiternden Versuch, sich das Rauchen abzugewöhnen. Svevo breitet das im Grunde völlig unspektakuläre Leben einer kleinbürgerlichen Existenz aus, mit Krankheit und Tod als zentralen Motiven: „Das Leben ähnelt ein wenig der Krankheit, die Höhen und Tiefen durchläuft und tägliche Besserungen und Verschlechterungen kennt. Im Unterschied zu anderen Krankheiten ist das Leben immer tödlich“, lässt er Zeno Cosini sagen. Wer wollte ihm da widersprechen?

Italo Svevo: Zenos Gewissen. Übersetzt von Barbara Kleiner. Manesse Verlag, 22,90 €. (bei der abgebildeten Ausgabe handelt es sich um die bei Zweitausendeins im Jahr 2000 erschienene und vergriffene Erstausgabe der Neuübersetzung von Barbara Kleiner).

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