Folter mit Wagner

Zwei Reisebücher von Mark Twain, vorgestellt von Andreas Gebhardt

Reisen in Corona-Zeiten sind nun wieder Zimmer-Reisen. Da erinnert man sich doch gerne daran, als Reisen noch im besten Fall ein Abenteuer war, anregend, aufregend und voller Neugierde für das Fremde, Exotische, Unbekannte. Reisen war und ist Erfahrung. Die Lektüre von Reiseberichten ersetzt natürlich keine Reise, aber man kann trefflich Zeit und Raum überwinden, was natürlich nur ein schwacher Trost ist, wenn man lieber selber aufbräche. Aber Lesen kann ja auch immer eine Erfahrung sein.

Indem wir dazu verdammt sind zu Hause zu bleiben, möchte ich zwei Bücher besonders empfehlen, die zu meinen schönsten, weil witzigsten Reiseliteratur-Lektüren gehören. Vorhang auf für Mark Twain, der bekanntlich Samuel Longhorne Clemens hieß und nicht „nur“ Tom Sawyer & Huckleberry Finn geschrieben hat, die bekanntlich Giganten sind. Seine vielleicht besten Reisebücher sind „Die Arglosen im Ausland“ („The Innocents Abroad“, 1869) und „Bummel durch Europa“ (A Tramp Abroad, 1880). In den „Arglosen“ schildert Twain den Beginn der Ära der modernen Vergnügungstour: Eine organisierte Kreuzfahrt auf einem zum Passagierdampfer umgebauten Schlachtschiff von den USA in die alte Welt, und hier kreuz und quer durch das Mittelmeer mit diversen Landabstechern zu touristischen Highlights wie Paris mit seiner Weltausstellung, die antiken Stätten und alten Städte Italiens, das Heilige Land und die Pyramiden in Ägypten. Der „Bummel durch Europa“ war dem hingegen als klassische Fußreise durch Deutschland und über die Alpen geplant, wurde aber doch kurzerhand mit dem Schnellzug von Hamburg aus unternommen. Was schon die erste komische Wendung ist, die zwischen den Zeilen ebenfalls den Aufbruch in die technische Moderne markiert, die auch das Reisen verändert hat. In beiden Büchern ist Twain in Höchstform: Satiriker, Zyniker, ätzender Spötter und augenzwinkernder respektloser Schelm. Das Alte Europa und das noch ältere Morgenland mit all den eingefahrenen Schrulligkeiten und Exotismen sieht er durch die Brille des pragmatischen, hemdsärmeligen Amerikaners. Köstlich seine Schilderung einer Wagner-Oper in Bayreuth mit ihrer stundenlangen Sitzfolter auf steinharten Bänken bei enervierendem Geschrei von der Bühne her. Oder der urkomische und aus Trotteligkeit missglückte Versuch, einen alpinen Sonnenaufgang von einer Aussichtsplattform im Schweizer Hochgebirge zu erleben, womit er sich, stellvertretend für alle überheblichen Amerikaner, der Lächerlichkeit preisgibt. Sowas liest man heute noch gerne, weil das, was damals schon komisch war, noch immer Bestand hat.

Ich habe „Die Arglosen im Ausland“ und „Bummel durch Europa“ (beide übersetzt von Ana Maria Brock) in der schönen fünfbändigen Mark-Twain-Werkausgabe des Hanser-Verlags gelesen, die nicht mehr aufgelegt wird. Beide Bücher sind aber gut und günstig im Internetantiquariat zu bekommen.

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