Christoph Heins Roman „Verwirrnis“, besprochen von Helen MacCormac
Wer kennt sie nicht, die „schwulen Cowboys“, Ennis und Jack, aus Annie Proulxs gefeierter Kurzgeschichte, die die Vorlage von Ang Lees Filmklassiker bildete. Als ich in dem Klappentext zu „Verwirrnis“ von einer bewegenden Liebe, „die über Jahre hinweg allen Widrigkeiten trotzt“, las, fragte ich mich, ob Christoph Heins Roman über eine homosexuelle Liebesbeziehung in der DDR eine Art deutscher „Brokeback Mountain“ sein könnte? Eine homoerotische Erzählung, in der es um die sozialen Auswirkungen einer bestimmten Denkweise und Moral an einem homophoben Ort geht?
„Verwirrnis“ erzählt die Geschichte von Friedeward Ringeling, der in der ostdeutschen Nachkriegszeit mit seiner Homosexualität ringt. Friedeward wächst zunächst in Heiligenstadt in Thüringen auf. Sein Vater, ein strenggläubiger Christ, züchtigt seine Söhne brutal, um ihre schwachen Charaktere zu festigen. Friedeward findet Trost bei Wolfgang und verliebt sich in seinen Mitschüler. Als ihre Beziehung auffliegt, muss der Freund die Stadt verlassen. Sie treffen sich beim Studium in Leipzig wieder. Sie können dort heimlich als Liebespaar leben, indem sie romantische Beziehungen zu Frauen vortäuschen. Als Wolfgang nach West-Berlin zieht, ist Friedeward untröstlich, entscheidet sich aber für eine Karriere an der Leipziger Universität. Auch als angesehener Gelehrter fürchtet er sich vor dem Stigma, schwul zu sein und traut sich nicht seine Homosexualität offen auszuleben. Er heiratet, um die Fassade eines heterosexuellen Lebens aufrecht zu erhalten.
Das ist natürlich sehr traurig. Leider kommt die Geschichte von „Friedl“ und „Wölfchen“ so leise und unaufgeregt daher, dass die Charaktere nur zweidimensional – nie aber wirklich lebendig oder glaubwürdig erscheinen. Hier wird nicht leidenschaftlich geliebt oder gelitten, sondern lediglich emotionslos darüber berichtet. Auch die wenigen Dialoge hat Hein oft so hölzern gestaltet, dass sie abgeklärt und peinlich wirken, und wenig Empathie hervorrufen.
Das ist besonders schade, weil Hein lebhaft erzählen kann. Immer wieder schildert er eindrücklich die DDR von den frühen Nachkriegsjahren bis in die 1990er Jahre.
Der gefeierter Schriftsteller und Übersetzer, der 1944 in Heinzendorf / Schlesien geboren wurde und in Bad Düben bei Leipzig aufwuchs, begreift sich als Chronist der kleinen Ereignisse. Er will keine Interpretationen liefern, sondern durch detaillierte Beobachtungen und eine nüchterne Distanziertheit das große Ganze erläutern. In diesem Fall wird er allerdings seinem Stoff nicht gerecht.
Auch wenn Hein die sozialen Auswirkungen einer homophoben Gesellschaft zu deuten vermag – hier scheint ihm die nötige Poesie abhandengekommen zu sein, um darüber zu erzählen wie die Liebe das Leben zweier junger Menschen im Laufe der Zeit prägt und wandelt. Kein Humor, wenig Tiefe und weit und breit keine Cowboys. Ein Jammer eigentlich.
Christoph Hein: Verwirrnis. Suhrkamp (2018), 303 Seiten, 22 Euro. Mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich.