Erstrangige Zeitdokumente

Andreas Gebhardt über Arthur Koestlers Israel-Reportage „Mit dem Rücken zur Wand“ und seinen Klassiker „Sonnenfinsternis“

Arthur Koestlers 1946 erschienener Roman „Sonnenfinsternis“ ist zweifellos sein berühmtester. Er gilt als Pendant zu Orwells „1984“. Koestler schildert darin, wie der einstige Volkskommissar Rubaschow als so genannter Volksverräter verhaftet und durch die Mangel der totalitären Staatsjustiz gedreht wird. Mit „Sonnenfinsternis“ prangerte Koestler Stalins Terrorsystem an, dem bekanntlich Millionen Menschen zum Opfer fielen, nicht zuletzt die alte Nomenklatura der Kommunistischen Partei in den berüchtigten Schauprozessen von 1937/38. Jahrzehntelang war der Roman lediglich in der Rückübersetzung Koestlers aus dem Englischen zu lesen, bis 2015 der Kasseler Germanist Matthias Weßel auf das deutsche Originalmanuskript in einem Schweizer Archiv stieß. Der unabhängige Elsinor-Verlag brachte 2017 diese Urfassung heraus.

„Mit dem Rücken zur Wand – Israel im Sommer 1948“ erschien unlängst ein weiterer Text Koestlers bei Elsinor. Mit diesem Band ist Koestler als großer Journalist zu entdecken. Bei der Ausgabe handelt sich um den Mittelteil seines 1949 in den USA erschienen Buches „Promise and Fulfillment: Palestine 1917-1949“, worin Koestler die zur Staatsgründung Israels führende Entwicklung darstellt und reflektiert. Dieser Mittelteil besteht aus seinen Reportagen und Tagebucheinträgen während des israelischen Unabhängigkeitskrieges und ist ein erstrangiges Zeitdokument.

1905 als Sohn eines deutsch-jüdischen Fabrikanten in Budapest geboren, begeisterte Koestler sich für Kommunismus und Zionismus und war schon in jungen Jahren als Reporter in Palästina unterwegs. 1930 ging er nach Berlin, war später Kriegsberichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg und bereiste die Sowjetunion. Als Weltbürger sprach er mehrere Sprachen fließend, lebte in der Schweiz, England, Wales, Frankreich und den USA. 1981 schied Koestler freiwillig aus dem Leben.

Als Jude war er natürlich nicht unparteiisch, aber er ließ sich, nachdem er Anfang Juni 1948 in Haifa gelandet war, dennoch nicht vor den Karren der jungen noch recht provisorischen Regierung spannen. Als mutiger Rechercheur und Reporter entlarvt er die Ungerechtigkeiten und Monstrositäten des Krieges, wobei er stets Distanz wahrt, ohne die Empathie zu verlieren. Er analysiert das Geschehen umfassend, messerscharf, pointiert und mit erstaunlichem Witz. Mit treffender Metaphorik weist er prophetisch in die Zukunft: „Das Heilige Land wird zu einer Art ethnischem Atomreaktor, dessen giftige Strahlung sich in alle Richtungen über die Welt ausbreitet.“ Der Reaktor strahlt bekanntlich noch immer.

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis. Roman nach dem Originalmanuskript. Elsinor, 256 S, 28 Euro.
Arthur Koestler: Mit dem Rücken zur Wand. Israel im Sommer 1948. Ein Augenzeugenbericht. Elsinor, 176 S., 25 Euro.

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