In Würde scheitern.

Daniele Dell’Agli über Thomas Metzingers „Bewusstseinskultur“.

Thomas Metzinger ist unter Deutschlands Philosophen derjenige, der sich am intensivsten mit den Neurowissenschaften und ihrem Beitrag zu einer Überprüfung traditioneller Theorien des menschlichen Geistes auseinandergesetzt hat. In seinem jüngsten Buch wechselt er allerdings das Genre und mischt sich direkt ein in die noch kaum begonnene Debatte um eine zureichende intellektuelle Durchdringung des weltgeschichtlich größten Menschheitsproblems, auch Klimawandel genannt. Der Autor bilanziert vorab die „planetare Krise“ und konstatiert angesichts unserer Jahrzehnte währenden Untätigkeit, ja unseres Unwillens, wirksame Maßnahmen zu ihrer Abwendung zu unternehmen, einen Mangel an „kultureller Kreativität“.  „Leitbild“ für neue Handlungsnormen und einem entsprechenden kulturellen Kontext könnte etwas sein, dass er „Bewusstseinskultur“ nennt und deren Elemente er in seinem Buch vorstellt.

Ein Bewusstsein, das kommenden Herausforderungen gewachsen wäre, muss sich, Metzinger zufolge, zunächst einmal durch „intellektuelle Redlichkeit“ auszeichnen. Darunter versteht er „die Weigerung, sich selbst in die Tasche zu lügen.“ Das hört sich salopp an, bedeutet aber im Klartext, dass wir endlich anerkennen, dass „der menschliche Geist in der Klimakrise seinen Meister gefunden hat.“ Und dass wir erst „beginnen, die Gründe dafür langsam zu verstehen.“ Mit ihrem Zeitlupenverlauf, ihren Rückkopplungen und Kipppunkten sowie der schwer nachvollziehbaren „Trägheit der physikalischen Systeme“ ist der menschliche Geist schlicht überfordert. Hinzu kommt die jeweils individuelle Trägheit, die uns wider besseren Wissens an klimaschädlichen Gewohnheiten festhalten lässt und nicht zuletzt die Trägheit der politischen Systeme sowie der Gesellschaft insgesamt. Zum Verhängnis geworden ist uns nicht zuletzt die evolutionsbiologisch angelegte Neigung zu immer mehr Wachstum – mit einer entsprechenden funktionalen Architektur des Gehirns, die es erschwert, sich den veränderten Bedingungen zu stellen. „Wir müssen dringend herausfinden, wie plastisch unser Gehirn wirklich ist: wann öffnen sich im Lauf eines Lebens die Zeitfenster, in denen wir tatsächlich eine Veränderung bewirken können“? Auch dies, so Metzinger, eine Aufgabe für die von ihm angedachte Bewusstseinskultur.

Metzinger wendet sich gegen den wohlfeilen Zweckoptimismus, der uns weismachen will, mit neuen Technologien und einem lediglich umgesteuerten, „grünen“ Wachstum die Klimaziele erreichen zu können; er plädiert vielmehr für einen Realismus, der, ohne in defätistische Resignation zu verfallen, uns in die Lage versetzen soll, „in Würde zu scheitern“ und unsere Selbstachtung zurückzugewinnen. Dessen „Bewusstseinszustände“ speisen sich aus denkbar unterschiedlichen Quellen, die er im Verlauf des Buchs in ihrer historischen Genese erläutert. Das Spektrum reicht von wissenschaftlicher Rationalität angelsächsischer Provenienz bis zu „säkularer Spiritualität“, ich-befreiender Meditation und Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen. So unscharf das Profil einer neuen „Bewusstseinskultur“ bleibt, so klar wird ihre Dringlichkeit angemahnt, um den „psychologischen Kipppunkten“ die Stirn zu bieten, die der Autor für den Moment vorhersagt, wo dem irreversibel umkippenden Klima die Erkenntnis folgen wird, dass die bisherigen, wohlstandsverwöhnten Lebensformen nicht mehr zu halten sein werden. Metzinger nennt dies den „Panikpunkt“, auf den wir uns, da die Klimaziele auf keinen Fall einzuhalten sein werden, vorbereiten müssen, auch geistig. Metzinger geht es nicht darum, die Gehalte einer neuen Ethik der Selbstwahrnehmung zu definieren, er sondiert vielmehr die bewusstseinsphilosophischen Voraussetzungen der dringend gebotenen Metanoia. Für sein Projekt einer alternativen Bewusstseinskultur öffnet er den Raum ihrer phänomenalen Zustände für meditative und spirituelle Praktiken sowie für eine „psychonautische Pharmakologie“, von denen er sich einen „evidenzbasierten“, naturwissenschaftlich begründeten Zugang zur „Erfahrung des reinen Bewusstseins“ verspricht. Der Rezensent bleibt allerdings skeptisch, ob es reichen wird, Formen einer „nicht-dualen“, also weder selbst- noch gegenstandsbezogenen Achtsamkeit einzuüben, um dem narzisstischen Sog der Konsumgesellschaft zu entkommen. Aber Metzinger betont, dass sein Projekt offen angelegt ist für Präzisierungen, Korrekturen und Erweiterungen und er bietet genug anregende Argumente, es in Angriff zu nehmen.

Thomas Metzinger, Bewusstseinskultur. Spiritualität, intellektuelle Redlichkeit und die planetare Krise. Berlin Verlag 2022, 204 S., 22 Euro.

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