Gott ist Ungar

Andreas Gebhardt empfiehlt „Als Jesus in die Puszta kam“ von Gábor Fónyad.

Stellen Sie sich vor, Sie seien Jesus. Also nicht der Original-Jesus von damals, sondern quasi dessen Inkarnation im Hier und Jetzt. Kommen einige Typen auf Sie zu und behaupten das, scheinen felsenfest davon überzeugt und legen sogar „Beweise“ vor. Keine Frage, Sie sind verwundert, amüsiert und – natürlich – ungläubig. Aber Ihr Leben ist nun mal gerade etwas langweilig. Und da die Typen Sie zu sich nach Hause – einige 100 Kilometer entfernt – einladen und Ihnen so gleich das Zugticket aushändigen, nehmen Sie an. Aus reiner Neugierde und vielleicht auch, um dem trüben Dasein etwas Pfiff zu verleihen.

Diese Geschichte erzählt Gábor Fónyad in seinem amüsanten zweiten Roman „Als Jesus in die Puszta kam“. Fónyad (Jg. 1983), Sohn einer aus Ungarn stammenden Musiker- und Theologenfamilie, lebt in Österreich, hat Germanistik und Finno-Ugristik studiert. Er ist Lehrer in Niederösterreich und unterrichtet an der Wiener Universität. Gott ist in diesem komischen Roman Ungar, Sohn Jesus somit ebenfalls. Die Wiege des Christentums stand – ganz klar – in der platten Puszta. Die bizarre Sektierer-Truppe, die den Roman-Helden Ludwig Neustätter davon zu überzeugen versucht, der neue Messias zu sein, nennt sich die Urmagyaren. Leider dauert es eine Weile, bis der Ich-Erzähler kapiert, dass er lediglich der nützliche Trottel einer wohlkalkulierten Verschwörung ist. Als er merkt, dass sie ihn für dumm und dämlich verkaufen und er nur eine Marionette ist, da ist es leider schon zu spät und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Fónyads Roman erschien im Corona-Jahr 2021 als wirre Theorien, Verschwörungsmythen, Hass und Hetze, Wahn und Glaube, Fake und Querdenken Hochkonjunktur hatten. Dass er das Geschehen nach Ungarn verlagert, ist durchaus pikant und als böser Seitenhieb auf das ultranationalistische und antidemokratische Orbán-Regime zu verstehen. Überhaupt nimmt er die Ungarn selbst aufs Korn, von denen wohl nicht wenige glauben, sie seien Auserwählte. „Als Jesus in die Puszta kam“ bringt den (Größen-)Wahn unserer Zeit nicht nur lustig, sondern auch spannend und nachdenklich auf den Punkt. Im Grunde schildert Fónyad, wie Totalitarismus entsteht. Leider bleibt die Gewissheit, dass die Realität viel schlimmer ist.

Gábor Fónyad: Als Jesus in die Puszta kam. Elster & Salis Wien 2021, 270 S., 24 Euro.

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