Gentrifizierung am Prenzlauer Berg

Enno Stahls Roman „Sanierungsgebiete“, besprochen von Andreas Gebhardt

Luxussanierung, Entmietung, Verdrängung der Alteingesessenen: Die Gentrifizierung ist mit Enno Stahls Roman „Sanierungsgebiete“ in die deutsche Literatur eingezogen. 90 Jahre nach Alfred Döblins Großstadt-Epos „Berlin Alexanderplatz“ rückt der 1962 geborene, heute im nordrheinwestfälischen Neuss lebende Autor den Umbau der Berliner Stadtlandschaft in den Mittelpunkt seines hellsichtigen und hervorragend recherchierten Romans. Stahl schickt seine Protagonisten durch den Prenzlauer Berg der Nachwende-Jahre, wo sich die Gentrifizierung prototypisch vollzogen hat: Lynn, eine an einer Masterarbeit zur Stadtveränderung forschende Studentin, Donata, Redakteurin eines Parteiblattes, ihr Exfreund, der radikale Graswurzelpublizist und „Originalberliner“ Otti oder der Lebenskünstler Stone. Mit „Sanierungsgebiete“ schreibt Stahl seinen Romanzyklus „Die Turbojahre“ fort, in dem er die Probleme des Kapitalismus erzählerisch formt. Einmal mehr wendet er überzeugend sein Konzept des „Analytischen Realismus“ an, bei dem es ihm nicht darum geht, gesellschaftlich-politische Zustände bloß abzubilden, sondern erzählend eine kritische Haltung zur Gegenwart einzunehmen. Stahl baut starke Bindungen zu seinen Figuren auf. Indem er sie teilweise in Berliner Mundart reden lässt, dazu vielfältige geschichtliche Exkurse, literaturhistorische Bezüge, Statistiken, Interviews Stasi-Protokolle oder Mail-Chats einmontiert, gelingt ihm eine Vielstimmigkeit, die Identifikation und Objektivierung gewährleistet und im besten Sinne aufklärerisch ist.

Enno Stahl: Sanierungsgebiete. Verbrecher Verlag 2019, 591 Seiten, 29 Euro.

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