Deutsch-deutsche Geschichte im Brennpunkt der WM 1974

Famose Graphic Novel aus Frankreich: „Das Spiel der Brüder Werner“, besprochen von Franz Buch.

Wie aus einer Fußnote der Geschichte ein spannendes und höchst lehrreiches Historienpanorama werden kann, demonstrieren der Journalist und Autor Philippe Collin und der Zeichner und Szenarist Sébastien Goethals. In ihrer großartigen Graphic Novel „Das Spiel der Brüder Werner“ lassen die beiden Franzosen mehr als 40 Jahre deutsch-deutsche Geschichte Revue passieren. Im Mittelpunkt steht das Fußball-Duell BRD gegen DDR während der WM 1974. Das Spiel gewann die DDR. Die BRD wurde aber Weltmeister.

Konrad und Andreas, zwei unzertrennliche Brüder haben im Krieg ihre Eltern verloren. Als so genannte „Wolfskinder“ fliehen sie allein und auf sich gestellt von Berlin nach Leipzig, wo sie während der Unruhen 1953 in die Fänge der Stasi geraten. Sie werden erpresst und zu überzeugten Verfechtern sozialistischer Ideale umgepolt. Ihre Wege trennen sich und sie verlieren sich aus den Augen. Anlässlich der WM treffen sie wieder aufeinander: Konrad, nach wie vor überzeugt von seiner ideologischen Mission, lebt als Geheimagent höchst angenehm im Westen und ist auf die Mannschaft der BRD angesetzt. Andreas beschattet als Physiotherapeut für die Stasi die Auswahl der DDR, zweifelt jedoch immer stärker an seinem Auftrag und möchte sich absetzen. Die heute fast vergessene Fußballbegegnung im Juni 1974 in Hamburg war das erste deutsch-deutsche Länderspiel überhaupt. Für das DDR-Regime ein willkommener Anlass, sich als überlegener Staat im Wettbewerb der Systeme zu inszenieren. Eine vielschichtige Gemengelage also, die Collin und Goethals in realistisch gezeichneten, detailreichen Panels als mitreißende Graphic Novel inszenieren, Geschickt verweben sie Fakten und Fiktion, denn die Story der beiden Brüder, die durchaus wahr sein könnte, ist erfunden. Nicht erfunden ist jedoch die gegenseitige Abneigung zwischen Paul Breitner und Franz Beckenbauer, die eingehend thematisiert wird. Nicht zuletzt geht es um den ewigen Konflikt von Loyalität und Verrat. Aber, und das wird ebenfalls angedeutet, auch um die Möglichkeit zu verzeihen, nach vorne zu Blicken und wieder etwas Neues aufzubauen.

Philippe Collin, Sébastien Goethals: Das Spiel der Brüder Werner. Splitter-Verlag 2020, 147 S., 25 Euro.

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