Bis ins Feinste stimmig

Wassili Grossmans Buch „Leben und Schicksal“, besprochen von Herbert Troup

Wassili Semionowitsch Grossman ist ein russischer Schriftsteller jüdischer Herkunft. Er lebte von 1905 bis 1964.Er war Zeitgenosse von Boris Pasternak und wie dieser, gezielten Repressionen und Demütigungen durch die Sowjetmacht ausgesetzt. Anders als Pasternak hatte er jedoch nicht das Glück, vom Westen entdeckt und geehrt zu werden. Das Manuskript seines Hauptwerks, „Leben und Schicksal“, wurde 1961 beschlagnahmt. Drei Jahre später starb er. In 1980 wurde es erstmals in der Schweiz im Original veröffentlicht und dann in viele Sprachen übersetzt.

„Leben und Schicksal“ ist die Geschichte einer Familie und ihr nahestehender Menschen in der stalinistischen Zeit von 1942 bis Anfang der fünfziger Jahre. Grossman übernimmt Tolstois Technik von seinem Roman „Krieg und Frieden“ und schildert parallel das Leben von vielen Mitgliedern dieses Familienkreises . Diese Schreibtechnik mit den vielen russischen Namen ist für den westlichen Leser zuerst verwirrend und mühsam. Hinzu kommt, dass die Protagonisten unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Schichten angehören Nach einiger Zeit ist man jedoch in diesem Kosmos heimisch und taucht tief in das Leben der Menschen ein, welche sich im sowjetischen Alltag jeden Tag aufs Neue behaupten mussten.

Grossman ist ein begnadeter Erzähler. Seine Figuren sind psychologisch bis ins Feinste stimmig gestaltet. Die Schilderung der unterschiedlichen Milieus überzeugt. Das Schicksal dieser Menschen, welche durchwegs Anhänger des Kommunismus sind oder ihm neutral gegenüber stehen, keine Gegner, und trotzdem scheitern, bewegt den Leser zutiefst. Die Handlung ist abwechslungsreich und packend, nie langweilig. Deshalb ist der gewaltige Umfang des Romans (über 1000 Seiten) kein Nachteil.

Grossman ist ein Schriftsteller vom Niveau eines Isaac Babel oder Boris Pasternak. Ich empfehle ihn jedermann. „Leben und Schicksal“ ist ein großes Leseerlebnis!

Wassili Grossman: Leben und Schicksal, übersetzt von Madeleine von Ballestrem, Arkadi Dorfmann, Elisabeth Markstein und Annelore Nitschke, Claassen Verlag, 1048 Seiten. Mittlerweile als Taschenbuch im Ullstein Verlag erhältlich, 18,00 .

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