Vom Wind gekeltert

Ingrid Rosenberg-Harbaum bespricht Olaf Veltes Gedichtband „Schmales Licht“.

Mit dem Titel „Schmales Licht“ veröffentlichte der Verlag Stadtlichterpresse 2020 einen fünften Gedichtband des promovierten Germanisten und Theaterwissenschaftlers Olaf Velte, der sein Brot als freier Journalist und in der familienbetriebenen Merinoschafzucht verdient. Seine 64 Gedichte des sorgfältig ausgestatteten Leinenbandes mit Schutzumschlag unter Verwendung eines Holzschnitts von Heike Küster lassen akademische Strenge und ökonomische Notwendigkeiten in künstlerischer Freiheit beiseite. Die Tür des passionierten Dichters schwingt sanft in den Angeln, wenn schmale Lichtstreifen von außen ins Innere und von innen ins Außen Weltgewordenes in Raum und Zeit kartographieren. In eigener Lichtregie verdichten und transformieren sie beherzt Momente ländlichen Alltags. Wegemarken laden ein, den Spuren zwischen den Zeilen zu folgen. Die Leser entdecken einen Horizont, der weit über die regionale Verortung von den Höhen des Taunus bis zum bäuerlichen Geviert im Bizzenbachtal hinausreicht.

„Schmales Licht“ imaginiert auf rexroten Feldern dröhnende Traktoren als Schwestern der Sterne jenseits der Milchstraße, folgt dem Pfad der Welle auf den Mons California als Gegenüber von Beverly Hills am saturnrot höheren Pazifik und stimmt weihnachtlich, wenn sich in der mit Scheinwerfern durchgeisterten Schwärze des Weges die Menschwerdung christlich im hessischen Schafstall ereignet. Die Hirten sind Schafzüchter, Hammelschlächter in Lohn und Brot, denen nach vollbrachtem Tagwerk Abend sein will und leere Stallung. „Schmales Licht“ weiß das Faseltier, das Zuchttier, mit dem Oberstier beim Wandern im Himmel, während Tschechovs Gutsbesitzer lachend und winkend durchs Feld auf den Hof kommt. Der Freight Train der unvergleichlichen „Libba“ Cotten lässt den Blick zum schmiedeeisernen Friedhofstor wenden, Snyder und Bashô (und was wäre besser) liegen zum Aufschlagen bereit in Erwartung vielleicht bekannter spätabendlicher Zustände. Hier stampfen auch Faulkners Schecken im Dieselbeat und Alex Chilton schaut herein. Und wuchtet „Schmales Licht“ „Rumble“, die Mutter aller Riffs, auf den Gitarrensteg?

Weitere Fragen werden aufgeworfen: Wer ist Herr Adrian, was für ein Mensch war der japanische Haiku-Dichter Issa, erzählen die Songs von Bob Dylan dem Imker beim Leeren des Bienenstocks eine andere Lügengeschichte als nebenan auf der Geburtstagsfeier des Landarztes? Schemenhafte Protagonisten im Spiel zwischen Rübenblatt und Apfeltrester, Klänge nur ein Wimpernschlag entfernt. So ist das hier, in altem Siedlungsland, wo einst Römer Weißdornzweige an Haus- und Stalltüren steckten, um die vogelgestaltigen raubenden Strigen von ihren Kindern fern zu halten, wo das Merinofädchen nun mehr wert als tausend Ballen Bullenheu, wo Bussard kreuzt und Wetter wächst.

Olaf Velte: Schmales Licht. Stadtlichter Presse, 2020, 80 Seiten, 20,00 Euro.

Nach oben scrollen