Vom Nutzen der Fiktion fürs Überleben

Daniele Dell’Agli bespricht „Blackout von Denis Newiak.

Kenner von Agentenfilmen dürften 2013 von den Enthüllungen Edward Snowdens nicht sonderlich überrascht gewesen sein, hatte doch Tony Scott in „Enemy of the State“ bereits 1998 das ganze Ausmaß der NSA-Überwachung und der dazu eingesetzten Technologien zum Gegenstand eines virtuosen Action-Reißers (mit Will Smith und Gene Hackman) gemacht. Dass die Drehbuchautoren solcher Genrefilme nicht nur in Hollywood über authentisches Insider-Wissen verfügen, gerät leicht über den Unterhaltungswert der Endprodukte in Vergessenheit und wird von der Kritik allenfalls am Rande oder indirekt mit einem Lob für die Stimmigkeit der Plots vermerkt.

Der Medienwissenschaftler Denis Newiak hat es sich demgegenüber zur Aufgabe gemacht, dieses Rezeptionsverhältnis umzukehren und dem impliziten Wissen von Filmen und Serien nachzuspüren sowie der Frage, was wir von ihnen lernen können. Er hat zu diesem Zweck ein Science-Fiction-Genre gewählt, das seit gut drei Jahrzehnten nicht zufällig eine steigende Konjunktur verzeichnet: das der fiktionalen Dystopien und ihrer düsteren Visionen vom Ende unserer Zivilisation. Und er hat im Subgenre des Blackouts, also der dramaturgischen Verarbeitung der, wie sich im Zuge seiner Untersuchung herausstellt, größten anzunehmenden Katastrophe, ein sowohl lohnendes als auch seit der Drosselung der russischen Gaslieferungen denkbar aktuelles Objekt gefunden.

„Stromleitungen sind die Blutgefäße der modernen Zivilisation, der durch sie fließende Strom der Lebenssaft aller modernen Einrichtungen – vom Wasserhahn über die automatisierte Börse bis zum Internet“, schreibt Newiak. „Mit einem flächendeckenden Stromausfall droht schnell ein Kollaps des gesamten modernen Lebens. Film und Fernsehen zeugen von dieser ständig präsenten, aber öffentlich und politisch unterschätzten Gefahr… In Filmen und Serien wird gezeigt, dass die moderne Gesellschaft als Ganzes wie auch die einzelnen Personen meist gänzlich unvorbereitet von dem flächendeckenden Stromausfall heimgesucht werden.“

Vorweg informiert Newiak in einem eigenen Kapitel über den Stand der Forschung zu den ganz realen „Stromkrisenszenarien und ihren Ursachen“ sowie der Mahnungen, endlich Vorsorge zu treffen, die bei der Politik bislang ähnlich ungehört verhallt sind wie seinerzeit die Expertengutachten zur Pandemie-Vorsorge. Was dem Autor Anlass gibt, abermals für den spielerischen Umgang dieser Problematik in den einschlägigen Fiktionen zu werben, die über Film und Fernsehen ein größeres Publikum erreichen als die sperrigen Abhandlungen der Fachliteratur.

Dazu führt Newiak eine beeindruckende Riege von Dutzenden Spielfilmen und mehr als ein halbes hundert Serien als Kronzeugen auf, die selbst Kennern der Materie jede Menge Neuentdeckungen bieten. Wollte man eine Quintessenz aus seinen Analysen ziehen, so wäre dies die, dass der Firnis der Humanität, wie wir sie kennen, unvorstellbar dünn ist. Unsere zivilisierten Umgangsformen einschließlich der sie garantierenden rechtsstaatlichen Ordnung hängen buchstäblich am Draht der Stromversorgung. Man kann sie zwar nicht darauf reduzieren, einzig Produkt jener komfortablen Lebensbedingungen zu sein, die erst durch die Elektrizität möglich geworden sind, aber ohne diese sind sie nicht oder nur noch kurze Zeit durchzuhalten.

Darum legt der Autor, der es sich nicht nehmen lässt, auf jeder Seite die Kernaussage des gerade Erläuterten separat fettgedruckt und eingerückt hervorzuheben, größten Wert auf die praktischen Erkenntnisse, die man aus der Beschäftigung mit dem Thema gewinnen kann (und die er eigens in der„Checkliste“ des Schlusskapitels, auflistet): „Wenn Blackout-Filme und -Serien eines verbindet, dann ist es das geteilte Bewusstsein dafür, dass Vorsorge im Kleinen wie im Großen vergleichsweise einfach… zu haben ist: Jede oder jeder Einzelne kann mit einem angemessenen Vorrat an Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten, einem batteriegetriebenen Radio, einer Powerbank und einem Campingkocher leicht Vorbereitungen treffen, einen flächendeckenden Blackout besser durchzustehen….“ Zweifellos kommt den fiktionalen Endzeitszenarien die zentrale mentalitätspsychologische Aufgabe zu, für die Möglichkeit zivilisatorischer Ausnahmesituationen zu sensibilisieren – was den täglichen Katastrophennachrichten, selbst solchen über Extremdürren, Jahrhundertfluten, Kernschmelzen oder Pandemien bekanntlich nicht gelingen will. Ob die meist drastisch ausgemalten Schreckensvisionen tatsächlich, wie Newiak hofft, als Warnungen verstanden und in entsprechenden Präventionsmaßnahmen umgesetzt werden, darf allerdings bezweifelt werden. Grundsätzlich stimmt zwar, dass „nur durch die Vergegenwärtigung, die Inszenierung des Weltrisikos die Zukunft der Katastrophe Gegenwart wird“ (Ulrich Beck); doch einen Großteil der Gruseleffekte selbst realistischer Darstellungen darf man getrost als Unterhaltungsdividende abschreiben, Lerneffekt gleich null. Aber vielleicht verschiebt sich der Aufmerksamkeitsfokus in die gewünschte Richtung gerade durch diese Veröffentlichung, der man vor allem unter Multiplikatoren in Medien und Feuilleton und natürlich in den dafür zuständigen Behörden und Ministerien möglichst viele Leser wünscht.

Denis Newiak, Blackout. Nichts geht mehr. Wie wir uns mit Filmen und TV-Serien auf einen Stromausfall vorbereiten können. Schüren Verlag 2022, 230 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 25 Euro.

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