Keine Bettlektüre

Bram Stokers „Dracula“, besprochen von Sofie Althoff


Bram Stokers Meisterwerk „Dracula“ (1897) ist so lebendig erzählt, dass einem auch nach dem Lesen jedes Geräusch am Fenster verdächtig vorkommt und man am liebsten (nur so, um sicherzugehen) Fenster- und Türrahmen mit Knoblauch einreiben will. Einige Dialoge der Protagonisten erscheinen zwar unnötig pathetisch und umständlich – der Roman wurde in einer Zeit verfasst, in der Sprachökonomie noch keine große Rolle spielte – doch das ist leicht zu entschuldigen. Die chronologische Anordnung der verschiedenen Tagebuchaufzeichnungen und Briefe verleihen der Geschichte eine unglaubliche Spannung, die dadurch noch gesteigert wird, dass selten mal etwas klar ausgesprochen wird. So bleibt dem Leser nur, mitzurätseln, wobei immer eine ungute Vorahnung über allem schwebt. „Das wahre Grauen entfaltet sich zwischen den Zeilen“, heißt es auf dem Klappentext der Reclam-Ausgabe und diese Formulierung ist passend gewählt.

Noch gesteigert wird das Unbehagen durch Beschreibungen des Zoophagen Renfields, der auf seltsame Weise mit Graf Dracula verbunden scheint und Kleintiere wie Fliegen, Spinnen und Vögel fängt und isst. Ähnlich wie Dracula, der Blut saugt, um zu existieren, verspeist Renfield diese Tiere (am Stück!), um „Leben in sich aufzunehmen“ – nichts für schwache Lesernerven. Für die Menschen, die Dracula anfällt, wird die sonst so kraftspendende Nacht zum lebenszehrenden Albtraum (und dies im wahrsten Sinne des Wortes), weswegen sich der Roman als Bettlektüre vielleicht nicht so gut eignet. Als Gründervater des modernen Vampir-Mythos` kann man den irischen Autor Bram Stoker wohl nicht beschreiben, denn schon viele andere vor ihm (wie z.B. John Polidori oder Joseph Sheridan Le Fanu) haben sich mit diesen Legenden beschäftigt, doch war er es, der das ganz konkrete Bild des Vampirs prägte. Und die Faszination hält an: Unzählige Adaptionen in Form von Filmen, Serien oder Theaterproduktionen haben ihren Weg in die Populärmedien gefunden und machten somit Graf Dracula zum berühmtesten Vampir der Literaturgeschichte.

Bram Stoker, Dracula. Reclam Verlag 2020, 608 Seiten, 12 Euro.

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