Im besten Sinne aufklärerisch

Andreas Gebhardt über „Rude Girl“ von Birgit Weyhe.

Aus der Masse der Comic-Biografien ragt das neueste Opus der Hamburger Zeichenkünstlerin Birgit Weyhe beeindruckend heraus. Zum einen hat sie keine historische Person ausgewählt, deren Jubiläum gerade oder in absehbarer Zeit gefeiert wird, der also eine gewisse (kommerzielle) Aufmerksamkeit sicher ist. Zum anderen begegnet sie ihrem (unbekanntem) Sujet nicht als allwissende Interpretin, sondern als Suchende, die ihr Tun hinterfragt und auf den Prüfstand stellt. Dadurch gerät ihr Porträt der afroamerikanischen Germanistik-Professorin Priscilla Layne zu einer persönlichen Auseinandersetzung und zu einer anregenden Lektüre, die einen Erkenntnisprozess in Gang setzt.

Weyhe, die bereits zu Gast beim „Festival Grafisches Erzählen“ in Kassel war, lernt Layne im Rahmen eines Austauschprogramms an einem US-College kennen. Sie fremdelt mit dem Land, aber Gespräche mit Layne öffnen ihr allmählich die Augen in Bezug auf kulturelle Differenzen und Denkweisen. Laynes Eltern stammen aus der Karibik, ihre Mutter zieht sie alleine groß. Man nennt sie – nach den beliebten Keksen – abwertend eine „Oreo“, schwarze Hülle, weißer Kern. Sie sitzt also zwischen den Stühlen, muss ihre Stellung finden in der Gemengelage von geschlechtlicher Identität, ethnischer Herkunft (Rasse/Race) und sozialer Zugehörigkeit (Class/Klasse). Sie wird als Kind von einem Verwandten missbraucht und muss schmerzlich erfahren, dass ihre Familie darüber den Mantel des Schweigens breitet, um den Täter zu schützen. Sie lernt Musik zu lieben, lernt Deutsch. Sie schließt sich – bewusste Entscheidung und Befreiungsschlag – den linken Skinheads an, den Sharps, die jede Form von Rassismus ablehnen, dafür Stolz sind auf ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse. Mit ihrem ausgeprägten Eigensinn brüskiert sie ihre Umwelt, daher der Titel: „Rude Girl“. Es geht also um Erwachsenwerdung, Gewalt, Schmerz, Auflehnung, Akzeptanz. Bewusstseinsbildung, Identität.

Weyhe hat eine unverwechselbare Bildsprache gefunden. Sie erzählt die Geschichte der Priscilla Layne in stilisierten und manchmal expressiven Panels. So gelingt ihr, die äußere und innerer Welt ihrer Protagonistin darzustellen. Das geschieht chronologisch, nicht linear. Denn nach jedem Abschnitt unterbricht sie und schaltet eine Reflexionsebene ein, indem sie die „gegenwärtige“ Layne auftreten lässt, die das bis dahin von Weyhe Geschilderte hinterfragt und z. T. behutsam korrigiert, etwa in der Farbwahl oder in der Darstellung von Personen. So findet ein nachvollziehbarer ständiger Annäherungsprozess zwischen der Comic-Künstlerin bzw. ihrer Arbeit und der jungen Germanistik-Professorin statt. Und dieser ist im besten Sinne aufklärerisch.

Birgit Weyhe: Rude Girl. Avant-Verlag 2022, 312 Seiten, 26 Euro.

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