Drei furiose Streitschriften und eine vertane Chance

Daniele Dell’Agli über Andreas Malms Streitschriften.

Andreas Malm, Professor für Humanökologie (das ist im Kern Umweltgeschichte) an der Universität Lund (Schweden), vereint in sich die Kenntnisse des Wissenschaftlers mit der Ungeduld des Klimaaktivisten, eine Ungeduld, die angesichts des zynischen Prokrastinierens der Regierungen und der fatalistischen Grundhaltung der Bevölkerungen inzwischen immer mehr von heiligem Zorn flankiert wird. Er steht exemplarisch für einen neuen Typus ökologisch engagierter Akteure, die den privilegierten Umstand – zum Beispiel als Professoren – Teil des Systems zu seins, zugleich nutzen, um mit wissenschaftlich beglaubigter Autorität gegen dessen Blindheit und Lethargie in Sachen Klimaschutz zu agitieren.

Malm gehört zu der wachsenden Schar kapitalismuskritischer Ökologen (in Deutschland prominent etwa Harald Lesch), die angesichts der Schlüsselrolle des fossilen Kapitals und der mit ihm operierenden Energiekonzerne fordern, das geochronologische Konzept des Anthropozäns durch den politischen Kampfbegriff des Kapitalozäns zu ersetzen. Obwohl man ihn zweifellos zu den ökologischen Apokalyptikern zählen kann, für die es beim Klima schon fünf nach 12 ist, leitet Malm daraus nicht die Abgeklärtheit der Kollapsologen ab, die dazu aufrufen, alle Kräfte und Ressourcen statt auf die Verhinderung von tipping points doch besser auf  den Schutz vor ihren Folgen für unsere Zivilisation zu konzentrieren. Gerade weil Malm bewußt ist, dass eine schlüssige Theorie des Erwärmungszustands unserer Erde je nach dem zu Verzweiflung oder Resignation führen kann, ruft er unverhohlen zum Kampf gegen die Zerstörer unseres Planeten auf. Er setzt darauf, dass seine Arbeit ebenso wie all die anderen immer eindringlicher mahnenden Texte genügend Menschen motivieren, endlich den Bau einer Autobahn oder die Inbetriebnahme eines Kohlekraftwerks als ein Verbrechen an der Menschheit wahrzunehmen und alles Erdenkliche zu tun, diesesn Irrsinn zu stoppen. 

Nun hat der Verlag Matthes & Seitz in schneller Folge seine letzten drei Bücher herausgegeben, um diesen Autor, der zu den profiliertesten Stimmen der Klimabewegung gehört, auch in Deutschland bekannt zu machen: „Der Fortschritt dieses Sturms“, „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ und „Klima/X“ (OT: „Corona, Climate, Chronic Emergency“, geschrieben 2020 in Berlin). Dreh- und Angelpunkt dieser Bücher ist die fossile Ökonomie als Motor des Klimawandels, der er eine umfangreiche historische Studie gewidmet hat („Fossil Capital. The Rise of Steam Power and the Roots of Global Warming“, 2016), auf deren Analysen seine neueren Streitschriften beruhen. Und es gehört zu den Vorzügen von Malms Darstellung der aktuellen Problematik, unsere Wahrnehmung für die historische Dimension des heutigen Desasters zu schärfen: „Der Sturm des Klimawandels bezieht seine Kraft aus unzähligen Verbrennungen der letzten beiden Jahrhunderte.“ Diese Feststellung, die Malm mit einer präzisen Genealogie und unfangreichem Faktenmaterial absichert, ist weniger trivial, als sie anmutet, denn sie bedeutet zum einen, dass die Entwicklung selbst dann nicht zum Stillstand kommt – oder nur mit Generationen Verzögerung –, wenn wir sofort mit der Defossilisierung der Energiegewinnung beginnen; und dass sie sich noch Jahrtausende fortsetzen wird – bis zu einem Meeresspiegelanstieg von 50 Metern –, wenn wir nicht radikal eingreifen: „Für jedes Jahr, in dem die vollständige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft aufgeschoben wird – gar nicht zu sprechen von all den Jahren, in denen die Emissionen gleichbleibend oder steigend sein werden –, dehnt sich der Schatten der gemachten Erwärmung ein Stück weiter in die Zukunft aus.“ 

Und sie bedeutet zum anderen, dass man die Verantwortung für das Geschehene genau adressieren kann, um die Bedingungen für eine erfolgreiche Transformation der Energiewirtschaft und insbesondere für ihre Finanzierung formulieren zu können: das „fossile Kapital“, allem voran die Erdölkonzerne, die durch den Raubbau planetarischer Ressourcen und die Zerstörung unserer Atmosphäre astronomische Gewinne eingestrichen haben, müssen zerschlagen und ihre Vermögen in die wenigstens teilweise Rettung unserer Lebensgrundlagen – z.B. durch Geo-Engineering im globalen Maßstab – investiert werden. Insofern ist der Titel seines Buchs „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ weder satirisch noch metaphorisch, sondern ganz konkret gemeint als Aufruf, die Infrastrukturen der Energiekonzerne zu zerstören, die am Anfang der langen Kette des ruinösen Wirtschaftens steht, das unsere Lebensgrundlagen zerstört (und deren Ende tägliches Fleischfressen und SUV-Protzerei markiert). Insofern können seine historisch weit ausholenden Essays durchaus als Manifeste bezeichnet werden.

Großen, vielleicht zu großen Raum nimmt in „Der Fortschritt dieses Sturms“ die Kritik an Bruno Latours Konstruktivismus ein, getrieben sicher von der Popularität seiner Neudefinition der Gaia-Hypothese im Lichte einer Hybridisierung von Geist und Natur, von der in Malms Augen kein Weg zu einer Handlungstheorie für den Klimaschutz führt. Dass Latour sich dabei keineswegs, wie von Malm vorgeworfen, von jeglichem Klimarealismus verabschiedet, hat dieser allerdings im zeitgleich (2017) erschienenen „Terrestrischen Manifest“ eindrücklich unter Beweis gestellt. Der Haupteinwand von Malm, Natur existiere auch unabhängig von der Vorstellung, die der Mensch sich von ihr macht, trifft Latour nicht, der in seinen letzten Schriften wiederholt dafür plädiert, sich von einem imaginär und symbolisch besetzten Naturbegriff zu verabschieden, um für die zwar unabhängig vom Menschen existierende, aber immer empfindlicher auf dessen Eingriffe reagierende Wesenheit den kulturgeschichtlich weniger vorbelasteten Begriff „Erde“ zu verwenden.   

Dennoch ist Malm recht zu geben, wenn er die Aporien eines – von Latour oder auch von Val Plumwood vertretenen – Omni-Intentionalismus, der auch in der nichtmenschlichen Natur handlungsmächtige Akteure glaubt ausmachen zu können, polemisch aufspießt. Und selbstredend vermisst man bei Latour jene Polarisierungen, die man für die operative Umsetzung des Widerstands gegen die Erdzerstörer braucht, Motto: „In der einen Ecke Exxon Mobil, in der anderen der gefährdete Permafrost: Und dann schreitet man zur Tat.“ Doch dafür haben wir ja Malm (und Naomi Klein und Franziska Heinisch und…).

Man kann die Bedeutung von Andreas Malms Schriften für eine theoretische Selbstverständigung der Klimaproteste kaum überschätzen; umso seltsamer mutet die politisch korrekte Beflissenheit an, mit der selbst Texte, welche die verhängnisvollste Entwicklung der Menschheitsgeschichte analysieren und Perspektiven zur Verhinderung ihrer schlimmsten Folgen entwerfen, durchgegendert werden, das heißt mit auffälligen, den Lektürefluss störenden und vom Verständnis der Sache ablenkenden  Sprachverkrüppelungen einer feministischen Ideologie durchsetzt werden, die nach wie vor von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Das bezeugt die Instinkt- oder die Verantwortungslosigkeit von Übersetzer und Lektorat, die im Kotau vor den partikularen Ansprüchen des modischen Tugendterrors die Rezeption von Schriften erschwert, die prinzipiell alle des Lesens Kundigen erreichen sollte. Aber auch sonst holpert es in der deutschen Fassung, die Übersetzung ist nicht immer auf der Höhe des Originaltexts, wie schon die durchgängige Verwechslung von Konstruktivismus mit „Konstruktionismus“ signalisiert, sowie die oftmals unbeholfene Wiedergabe selbst einfachster Zusammenhänge: CO2 is a trace gas. It is not within the capacity of humans to make it more than a tiny little fraction of the atmosphere. In Frühaufs Fassung heißt es S.91 sinnfrei: “Es entspricht nicht den menschlichen Bedürfnisse(n – Druckfehler), davon mehr als einen winzigen Bruchteil der Atmosphäre zu erzeugen.” Korrekt muss es heißen: „Es übersteigt menschliches Vermögen, daraus mehr als einen winzigen Bruchteil der Atmosphäre zu machen.“ Desgleichen werden eine Seite weiter die Beziehungen (relations) zwischen „precipitation and oscillation“ als solche von „Niederschlag und Schwankung“ wiedergegeben. Das ist nicht falsch, aber auch nicht wirklich verständlich, während für Angelsachsen „oscillation“ im ökologischen Kontext automatisch Klimaschwankungen bedeutet. Ganz zu schweigen von der unfreiwilligen Komik der „Wolken mit uneinheitlichem Inhalt“ (mixed content) oder der monotonen Wiedergabe der inflationär von Malm gebrauchten „agency“ mit Handlungs- oder Wirkungsmacht, wo je nach Kontext auch mal „Selbstwirksamkeit“ oder „Subjektivität“ erhellender gewesen wären. Das sind nur Stichproben wohlgemerkt aus wenigen Buchseiten. Das Lektorat, das den Übersetzer vermutlich unter Zeitdruck gesetzt hat, wäre hier gefragt gewesen, war aber offenbar mit Wichtigerem beschäftigt, nämlich mit der Ausmerzung des generischen Maskulinums durch wortinterne Doppelpunkte und durch pseudogenerische Feminina, die die Genderfauna um so aparte Monster wie „Hybridistinnen“ bereichern und die deutsche Sprache mit absurden Wendungen wie „jemand, die handelt, ist jemand, die etwas tut“ verhohnepiepeln. Schade. Hier ist eine Chance vertan worden, der Griff zum Original ist aber unbedingt zu empfehlen.

Andreas Malm: „Der Fortschritt dieses Sturms“ (The Progress of this Storm, 2017), „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ (How to Blow Up a Pipeline, 2020) und „Klima/X“ (Corona, Climate, Chronic Emergency“, 2021) alle übersetzt von David Frühauf, erschienen bei Matthes & Seitz 2020, 2021).

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