
Durchs wilde Europa: Pieter Waterdrinkers Roman „Monsieur Poubelle oder der Mülleimer der Geschichte“.
Zu meinen herausragenden Lektüren dieses Frühjahrs zählt Pieter Waterdrinkers „Monsieur Poubelle oder der Mülleimer der Geschichte“. Der Autor ist hierzulande leider eher unbekannt. Nach „Tschaikowskystraße 40“ (auch sehr lesenswert) ist dies der zweite auf Deutsch erschienene Roman des Holländers. In Holland kam „Monsieur Poubelle“ 2016 heraus, also zwei Jahre nach der Annexion der Krim und sechs Jahre vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Waterdrinker – das sei vorausgeschickt – studierte russische Sprache und Literatur in Amsterdam, lebte von 1996 bis 2020 in St. Petersburg und berichtete aus Russland und der Ukraine für verschiedene niederländische Tageszeitungen.
Waterdrinker erzählt die haarsträubende Geschichte des Möchtegernschriftstellers Wessel Stols, der in Südfrankreich an seinem Romanprojekt „Biarritz“ kläglich scheitert und dann einen „Nonfiction-Roman“ über Eugène René Poubelle, den Erfinder des Mülleimers, schreiben will, der (natürlich) auch nicht gelingt. Es verschlägt ihn nach Moskau und von dort in die russische Provinz. Er verzockt sein Vermögen in der Dotcom-Blase, erfindet sich neu als Händler von Sowjetkunst, wird Abgeordneter des Europaparlaments und erlebt auf dem Maidan die orangene Revolution. Weitere Stationen: Paris, Brüssel, Amsterdam, Griechenland, die Krim, der Donbass, wo er auf bizarre Weise seinem Poubelle näher kommt als ihm lieb ist.
Zwielichte Gestalten bevölkern den Roman: schleimig-korrupte EU-Parlamentarier, russische Nutten, amerikanische Journalistinnen, kriminelle Banden und Warlords. Nicht zu vergessen seine große Liebe Friedl, die er sträflich vernachlässigt, bis sie ihn enttäuscht verlässt.
In Zeiten, wo der deutsche Dorfroman mit seinen kleinen Räumlichkeiten und verengten Blickwinkeln auf Privates Hochkonjunktur zu haben scheint, wirkt das Buch wie ein Rachenputzer mit Horizonterweiterung. Man merkt, dass Waterdrinker in Russland viel gesehen und erlebt hat. Er weiß, wovon er schreibt und breitet es fantasievoll aus. Im Grunde ist „Monsieur Poubelle“ ein moderner Abenteuerroman. Schnell, direkt, schnörkellos erzählt, voller Sex & Crime und mit überraschenden Wendungen, dazu politisch und historisch aufschlussreich, spannend und auch noch überaus witzig. Eine schöne literarische Entdeckung!
Andreas Gebhardt
Pieter Waterdrinker: „Monsieur Poubelle oder der Mülleimer der Geschichte“. März-Verlag 2024, 553 Seiten, 28 Euro.