Das Leben ändert sich in einem Augenblick

Christa Müller über „Das Jahr magischen Denkens“ von Joan Didion

So beginnt der schonungslose, aber niemals wehleidige Bericht der amerikanischen Schriftstellerin Joan Didion, den sie nach dem Herztod ihres Mannes im Dezember 2003 beginnt und ein Jahr später beendet. Auch die Tochter war Ende 2003 schwer erkrankt.

Die endlose Abwesenheit des geliebten Mannes nach 40 gemeinsamen Jahren sei mit keiner anderen Erfahrung vergleichbar, schreibt sie. In Wellen verursache das Leid Gefühle der Sinnlosigkeit, Übelkeit und Leere –  trotz des geduldigen Zuhörens derer, die auch etwas verloren haben: einen Freund.

Überall lauern Fallen, die Joan Didion in einen Strudel aus Erinnerungsfragmenten, Ahnungen, nicht entschlüsselter Botschaften und vermeintlichen Versäumnissen hineinziehen. Sie bietet alles auf, was mittels Information eine fragile Kontrolle über das Unkontrollierbare verspricht, bemüht die Psychologie, die griechische Mythologie, die Religion, Physik, Medizin, Poesie…

Die Konzentration auf die Erfordernisse des Alltags, eine Struktur und vernünftige Ordnung einzuhalten, scheint mehr und mehr zu gelingen, auch hilfreich zu sein gegen Leid. Doch vor Abstürzen in Widersprüchlichkeit schützt das nicht: Obwohl sie nicht an Wiederauferstehung glaubt, kann sie seine Schuhe nicht weggeben, weil „…er sie doch braucht, wenn er wiederkommt.“

Viele Monate lässt sie die Zeit rückwärtslaufen, verweilt an der Schwelle seines Todes, widmet der Trauer ihre Konzentration. Der Todestag jährt sich. Den Tag danach, im vorangegangenen Jahr, hat ihr Mann John schon nicht mehr erlebt. Und die Veränderungen seitdem. Loslassen, eine Notwendigkeit oder ein Verrat? Joan Didion verwebt Rückblicke, Beobachtungen, Recherche und Fakten zu einem bewegenden Ganzen, dem Leser gut folgen können. „Das Jahr des magischen Denkens“ hat nichts gemein mit Ratgeberbüchern! Es bietet aber all denen, die sich mit dem Tod auseinandersetzen wollen oder einen nahen Angehörigen verloren haben, einen Rahmen, ihre Gedanken aufzuarbeiten. Joan Didion starb am 23.12.2021. Einen Tag nach meinem Mann.

Joan Didion: Das Jahr magischen Denkens, aus dem Englischen von Antje Strubel. Ullstein 2021, 12.00€

Nach oben scrollen