Wir sind Lars

Nele Pollatscheks feinsinniger Roman „Kleine Probleme“ – empfohlen von Andreas Gebhardt.

Nennt mich Lars! Lars ist der Taugenichts des 21. Jahrhunderts. Lars kriegt nichts auf die Reihe, Lars ist der Totalversager, der vieles will und nichts schafft. Zum Beispiel will er das beste Buch der Welt schreiben. Darunter macht er’s nicht und genau deshalb schafft er’s nicht. Auch das Allerkleinste ist ihm zu riesig, zum Beispiel seinen Vater anzurufen oder aufzuräumen. Lars ist Nele Pollatscheks Antiheld in ihrem Roman „Kleine Probleme“.

Es ist der 31. Dezember. In wenigen Stunden kehren Frau und Kind zurück. Beide haben es nicht mehr ausgehalten und sind vor Wochen vor ihm geflüchtet. Ich-Erzähler Lars ist in ein tiefes Loch gefallen und muss sich aus dem Messie-Chaos seiner Wohnung herausgraben und zusehen, dass Gattin und Kind nicht gleich wieder flüchten. Aber wo und wie anfangen? Und mit dem Aufräumen ist es ja nicht getan. Er muss z. B. auch noch ein Bett für seine Tochter zusammenbauen, die Steuererklärung erledigen, die Regenrinne reinigen und einen Nudelsalat bereiten. Er verheddert sich hoffnungslos in allem. Dieses groteske Scheitern an den Dingen und den selbst herbeigeführten Umständen ist urkomisch – aber Lars ist als Totalversager auch ein Ritter von der traurigen Gestalt, der gegen die enormen Windmühlen in seinem Kopf hilflos anrennt. Also zündet er sich zur Entspannung lieber erstmal eine Zigarette an, atmet den Rauch tief ein, und schiebt den Kampf mit der Realität ein weiteres Mal auf. Lars ist ein Konzeptkünstler des Lebens, das meiste scheint er vor allem heroisch in Gedanken zu erledigen.

Pollatschek schildert einen Typen, der in uns allen steckt. Vor dem Schreiben eines Exposees nochmal schnell einen Kaffee kochen, vor dem putzen erstmal die Zeitung lesen – wer kennt das nicht?

Lars schreibt, reflektiert, analysiert, schildert mit erbarmungslosem Hang zur Selbstbeobachtung sein Tun bzw. Nichtstun in allen tragischen Details. Dabei ist ganz nebenbei zwar nicht gleich „das beste Buch der Welt“ entstanden, aber doch ein sehr sehr gutes. Dafür wird Nele Pollatschek in Kassel am 10. März 2024 mit dem Förderpreis Komische Literatur der Stiftung Brückner-Kühner ausgezeichnet. Das ist eine gute Wahl, die keinen Aufschub duldet.

Nele Pollatschek: Kleine Probleme. Galiani Berlin, 200 Seiten, 23 Euro.

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